Spider in a Web

 

Spider in a web

 

Es ist Mitternacht und die Bässe kommen tief. Künstliche Nebelschwaden wirbeln durch den schummrigen Konzertraum, Kondensschweiß tropft von der niedrigen Decke. Die Band gibt alles. Auf der Tanzfläche bewegen sich dunkle Gestalten im Takt der Musik. Manche versuchen unsichtbare Kostbarkeiten aus der Luft zu pflücken, einer hat schlimme Kopfschmerzen. Über allem hängt ein Hauch Patchouli. Ich lehne entspannt an der langen Bar und wärme eine Bierflasche in meinen Händen. Ich mag es nicht, wenn es so kalt ist. Zwei junge Mädchen mit hoch auftoupierten Haaren stellen sich neben mich an die Theke. Ein kurzer Blick. Ein kleines Lächeln. Ich sehe, wie die Mollige unter ihrem Make-Up errötet. Ihre Augen wandern verstohlen über meinen Körper, während sie eine Cola-Rum bestellt und ich weiß genau, was ihr jetzt durch den Kopf geht. Der Moment verpufft, als ein neues Lied beginnt und die beiden zurück zur Tanzfläche rennen. Die dritte Niete heute Abend. Schade.

Auf der Bühne nimmt man jetzt Anlauf zum großen Finale. Auch die Nebelmaschinen geben noch einmal ihr Bestes und verwandeln die Szenerie in eine diffuse Mischung aus Schatten und Licht. Auf der Tanzfläche kommt richtig Bewegung in die Leute. Fächer werden zugeklappt, Haare geschüttelt. Von der Decke tropft es heftig. „Hey, geiles Konzert, oder?“ schreit es an meinem Ohr. Ich schenke der Frau, die neben mir aufgetaucht ist, ein glanzvolles Lächeln. „Ja, sehr geil.“ schreie ich zurück. Manchmal kann es so einfach sein. „Kommst du öfter hierhin?“ Ah, sie ist also neu hier. „Ja, ich bin ziemlich oft hier.“ rufe ich und erneut lächeln wir. „Ich reise der Band hinterher. Sechs Städte in vier Ländern in zwei Wochen. Ziemlich verrückt, oder?“ Sie lacht. Auf ihren Zähnen sind Spuren von rotem Lippenstift. Sie hat sich wahrscheinlich gerade eben erst frisch gemacht. „Ziemlich cool würde ich eher sagen.“ lache ich mit und eigentlich ist das Spiel schon gelaufen. Wir werden uns noch ein wenig unterhalten. Wir werden noch ein wenig trinken. Und dann fragt sie mich oder frage ich sie. „Hast du in der Nähe ein Zimmer?“ fragt sie in meine Überlegung hinein. Das geht schnell. „Du hältst dich wohl nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf, wie?“ Ich stelle mein Bier auf die Theke. Sie lacht wieder. „Dafür bin ich zu alt. Warum warten, morgen könnten wir schon gestorben sein.“ Wie recht sie doch hat. „Ich habe kein Zimmer, ich habe etwas viel besseres.“ Sie folgt mir durch die tanzende Menge nach Draußen.

 

Es ist ein Uhr und wir gehen den Kanal hinunter zum Anlegesteg. „Du hast wirklich ein Hausboot?“ „Ja, Baby, das habe ich dir doch gesagt.“ „Cool.“ Sie schmiegt ihre Hand in meine und ich kann eine Mischung aus Haarspray und Parfum riechen. Ihre langen Haare verfangen sich in der Wolle meines Mantels, wenn sie im Gehen leicht gegen mich stößt. Die Plastiktüte mit den zwei Weinflaschen, die wir an der Tankstelle gekauft haben, schlenkert zwischen uns hin und her. „Morgen fliegen wir weiter nach Budapest. Ich bin echt aufgeregt, in Budapest war ich noch nie.“ „Ich auch nicht.“ sage ich und das stimmt sogar. „Kostet mich ein Vermögen, aber hey. Gönn dir, oder?“ Es ist eigenartig, wie sie mit der Jugendspache umgeht. Im Laternenlicht sieht sie wie Mitte dreißig aus. Wahrscheinlich ist sie älter. Vielleicht möchte sie jünger wirken. „Dort vorne ist es schon.“ sage ich und zeige auf mein Hausboot. Sie quittiert den Anblick mit einem langgezogenen „Ooooh!“ Ihre Plateauschuhe klatschen über den Asphalt, als sie hinüberläuft. „Wie geil ist das denn?“ Und sie klatscht sogar in die Hände. Herrlich.

Ich gehe vor, schließe auf und mache Licht. Dann helfe ich ihr an Bord, auch wenn das bei meinem Boot keine große Herausforderung ist. Ein Gentleman ist ein Gentleman. „Ich war noch nie auf einem Hausboot!“ „Dann hoffe ich, dass es einen guten Eindruck macht, meine Liebe.“ „Mega gut.“ Ich führe sie zum Sofa, stelle die Weinflaschen auf den Tisch. „Mach es dir schon einmal bequem, ich lege noch etwas Musik auf und hole uns Gläser.“ „Gerne.“ Die Musikanlage ist vorab eingestellt. Auf dem Weg in die Küche drücke ich auf Play. „Tolles Album!“ ruft sie, als das erste Lied gerade anfängt zu spielen. Ich lächle in der Küche. Nehme zwei Gläser aus dem Schrank und das Ketamin aus der Schublade. Wir werden uns amüsieren.

 

Es ist ein Uhr dreißig und wir liegen eng umschlugen auf dem Sofa. Die Musikanlage spielt, Kerzen leuchten, das Ketamin haut rein. Ich taste nach den Kabelbindern in meiner Hosentasche. Aber vorher. Der schönste Kuss der Welt. Ich schließe die Augen, ziehe ihren Kopf zu mir. Sie dreht sich leicht und küsst an meiner Lippe vorbei, mein Kinn hinunter. Zärtliche, kleine Küsse den Hals entlang. Ihre Zunge an meiner Haut. Ihr kühler Atem riecht nach Wein. Ich spüre einen kleinen Stich. Ihre Lippen wandern meinen Hals hinauf, zurück über mein Kinn. Treffen meinen Mund. Wir küssen uns lange. Meine Hände kribbeln. „Ketamin, hm?“ „Wie bitte?“ meine Stimme klingt belegt. „Ist eigentlich nicht mein Ding, aber du hast ja auch nicht gefragt.“ „Wie?“ Sie legt sich auf mich und ich habe das Gefühl, dass sie mit jedem Moment schwerer wird. „Ein tolles Wort, oder? Ketamin. Klingt wie ein fernes Land.“ Ich sehe in sehr dunkle Augen. Mein Schwanz kriecht zurück in meinen Körper. Ich habe ein eiskaltes Gefühl im Magen. Meine Haut kribbelt überall. „Es dauert nicht lange, mein Süßer.“ „Was dauert nicht lange?“ will ich sagen, aber ich sage nur „Wanlng.“ Meine Zunge ist zu schwer. Panik läuft mein Rückgrat hinauf und hinunter. Falscher Film, ganz falscher Film! Mein Hirn kribbelt. Ich habe noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt.

 

Es ist zwei Uhr und ich liege halbnackt auf meinem Sofa. Kann mich nicht bewegen. Kann nur zusehen, wie diese Frau durch meine Musiksammlung geht und dabei ein Glas Wein nach dem anderen trinkt. Ein brennender Schmerz in meinen Eingeweiden macht mich wahnsinnig. Ich möchte schreien, ich möchte rennen. Ich kann nur liegen. „Früher habe ich Filme gesammelt.“ sagt sie jetzt ganz beiläufig und nippt wieder am Wein. Das Fläschchen mit dem Ketamin hat sie aus meiner Hosentasche geholt und den Inhalt in die Flasche geschüttet, die mittlerweile leer ist. Die Kabelbinder hat sie auch gefunden und kommentarlos auf den Tisch gelegt. „Mein Lieblingsfilm ist 'Die Fliege', kennst du den? Ein Mann verschwurbelt seine DNA mit der einer Fliege und wird dann zu einem Mensch-Fliegen-Ding, das Wände hochlaufen kann. Ein furchtbar ekelhafter Typ, ganz haarig und ziemlich schleimig.“ sie lacht glockenhell und stellt ihr leeres Glas auf den Tisch. Der Schmerz in meinem Inneren ist so stark, dass ich mir in die Hose mache. Ich bewege mich dabei keinen Millimeter. „Aber das beste ist, dass er und ich eine Gemeinsamkeit haben.“ Mit einer fließenden Bewegung steht sie auf und kommt zu mir herüber. Setzt sich neben mich auf das Sofa. Bohrt ihren Zeigefinger in meinen Bauch. Die Schmerzexplosion macht mich fast blind. „Ah, reif.“ höre ich ihre Stimme neben meinem Ohr. Als sie ihre entsetzlich langen Zähne in meinen Bauch gräbt, wird es schwarz um mich.

 

 

 

© sybille lengauer

 

 

Bild von CESAR AUGUSTO RAMIREZ VALLEJO auf Pixabay

 

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