Federgeistchen

 

Federgeistchen

 

 

 

„Sir, ich denke wir haben ein Problem.“ Der untersetzte Mann im Laborkittel wendet sich vom Mikroskop ab und blickt bedeutungsvoll über den Rand seiner Brille. Der angesprochene Sir steht mit überkreuzten Armen neben einer Vitrine und schaut bedeutungsvoll zurück. „Es gibt keine Probleme, Dr. Paul. Es gibt nur Herausforderungen.“ konstatiert er missbilligend. Dr. Paul seufzt. „Dann handelt es sich hierbei um eine maximale Herausforderung, Sir.“ Er nimmt seine Brille ab und legt sie neben das Mikroskop. „Funktionieren Ihre Gen-o-Bots nicht?“ „Nein, Sir, die Gen-o-Bots arbeiten ganz hervorragend. Das Problem... die Herausforderung ist, dass sie zu gut arbeiten. Sie sterilisieren nicht nur die Tigermücke. Ich habe die Befürchtung, dass sie auch auf andere Mückenarten übergreifen.“

 

In der anschließenden Stille hört man nur das monotone Brummen elektrischer Geräte. Als Dr. Paul gerade ansetzt, um erneut zu sprechen, klingelt ein Handy. „Mossman? Ja, Sir. Bin noch im Labor. Danke Sir. Ich habe verstanden, Sir.“ Mr. Mossman klappt sein Handy zu. „Das war der Präsident der CroP-CORP. Ich treffe ihn in vier Stunden in Chicago zum Abendessen. Er wird mich fragen ob wir Fortschritte mit den Gen-o-Bots gemacht haben. Haben wir Fortschritte gemacht, Dr. Paul?“ „Schon, Sir.“ sagt der Wissenschaftler und macht ein unglückliches Gesicht. „Die Tigermücke spricht auf die Gen-o-Bots an. Eine komplette Ausrottung wird auf zwei Jahre errechnet. Allerdings kann ich nicht zu einem Freilandversuch raten, solange die Mutationsrate bei über 0,5 Prozent liegt. Wenn sie bereits unter kontrollierten Bedingungen eine derart hohe Variabilität zeigen, wären die Folgen in der Natur nicht absehbar!“ „Die Tigermücke ist also sterilisierbar?“ „Ja, Sir.“ seufzt Dr. Paul. „Gut.“ Mr. Mossman klappt sein Handy auf. „Sehen Sie zu, dass Sie die Mutationssache in den Griff bekommen. Ich freue mich darauf, Ihren Bericht zu lesen.“ Im hinausgehen beginnt er ein neues Gespräch...

 

 

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„Was ist denn das für eine Headline? 'Frankenstein-Roboter der Amerikaner bedrohen Biodiversität' willst du mich auf den Arm nehmen?“ Der Chefredakteur lässt wütend das Pad sinken und lehnt sich in seinem Sessel nach vorn. „Frankenstein-Roboter? Was haben Gen-o-Bots mit Frankenstein zu tun, der baut mit Leichenteilen, du Idiot. Und Ausdrücke wie Biodiversität kannst du nicht benutzen. Das versteht kein Schwein. Leidest du an Demenz oder warum muss ich dir das immer wieder erklären? Kurz, knackig, kreativ! Das sind unsere Headlines. Und nicht so dahingeschissene Stolpersteine, die kein Mensch lesen kann. 'Das Ende der Insekten!' oder: 'Gen-o-Bots, kommt jetzt der Untergang?' damit kommen die Leute klar.“

 

Der zusammengestauchte Reporter sitzt ihm stocksteif gegenüber. „Was bitte ist an 'Das Ende der Insekten' kreativ? Da kann ich auch schreiben: 'Gen-o-Bots, gefährlicher als gedacht' das ist ähnlich degeneriert. Georg, ich habe acht Monate für diese Story recherchiert. Ich bin nicht hier um mich über die verdammte Headline zu streiten, ich...“ „Ich weiß genau, wie lange du recherchiert hast.“ fällt ihm der Chefredakteur ins Wort. „Immerhin habe ich die Honorarnoten bezahlt, vielleicht erinnerst du dich. Und vielleicht erinnerst du dich auch, dass du nicht wieder mit total überdrehtem Rotz bei mir aufschlagen solltest. Hier: 'Erhöhte Mutationswahrscheinlichkeit' oder: 'Prozentuale Möglichkeit artübergreifender Kollateralschäden', wer bist du, die scheiß Science News? Schreib deine Story, aber schreib sie so, dass ich sie auch drucken kann. Und jetzt raus hier, Robert.“ Der Chefredakteur sinkt mit hochrotem Kopf zurück in seinen Sessel...

 

 

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„Hast du schon den Newsfeed gecheckt? Die scheiß Insekten sterben aus. Die sind alle Speril!“ Ein blasser Junge von etwa zwölf Jahren spuckt feine Speicheltropfen durch seine Zahnspange. Sein gleichaltriger Freund lümmelt neben ihm in der halbvollen U-Bahn und zuckt desinteressiert mit den knochigen Schultern. „Mir doch egal. Ich kann die verkackten Spinnen sowieso nicht leiden.“ „Insekten sind doch keine Spinnen, Loco.“ „Hab ich jetzt Biologie, Herr Lehrer?“ „Alter.“ „Was? Wir fahren sowieso bald alle mit dem A-Ticket zur Hölle, hat dir dein kack Newsfeed davon nichts erzählt?“ Der Zahnspangenjunge beobachtet, wie eine sehr dicke, in sehr rotes Leder gekleidete Frau versucht, einen sehr dicken, in sehr rotes Leder gekleideten Mops auf ihren Schoß zu heben. Das Tier rutscht ihr immer wieder aus den Fingern und plumpst zurück auf den Boden. „Hölle kann auch nicht viel anders sein als hier.“ murmelt er leise...

 

 

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„Pack deine Sachen und komm!“ In einem altmodisch eingerichteten Wohnzimmer versucht ein älterer Herr, seine Frau vom Fernseher wegzuziehen. „... berichten von erneuten, massiven Übergriffen an der Ostküste. Der Einsatz von Atombomben ist nicht auszuschließen. Ich wiederhole. Der Einsatz von Atombomben kann nicht ausgeschlossen werden...“ „Dass ich das noch erleben muss.“ jammert die alte Dame, während der Mann ungeduldig an ihrem Ärmel zupft. „Was machen wir mit Ben?“ Ihre Stimme ist ein ängstliches Flüstern. „Über den Hund denken wir nach, wenn wir unsere Sachen gepackt haben. Ich will nicht mehr hier sein, wenn die Kacke am Dampfen ist.“ „Joshua, Ausdruck!“ „Nicht jetzt, Laura. Komm!“ Als die beiden das Schlafzimmer erreichen, blitzt es grell und sie sind nur noch zwei Schatten an der Wand...

 

 

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REKONSTRUKTION UNVOLLSTÄNDIG. WEITERE FRAGMENTARISCHE DATENSÄTZE VORHANDEN. MIT DER WIEDERGABE FORTFAHREN?

 

 

Es bleibt minutenlang still in der riesigen Höhle, während die Nachbilder der holografischen Darstellung wie Geister durch die Dunkelheit schimmern. Nur gelegentliches Rascheln und leises Husten deuten darauf hin, dass ein Mensch zugegen ist. Als schließlich eine Stimme spricht, klingt sie stockend und rau. „Ja. Wiedergabe fortsetzen.“

 

 

© sybille lengauer

 

(Bild von Sven Lachmann auf Pixabay)

 

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